Streitgespräch
zwischen Visionär und Pragmatiker
DGB-Chef
Schösser und Unternehmensgründer Werner diskutieren leidenschaftlich über
Grundeinkommen
Von Renate Zauscher
Bergkirchen Ein an keine Bedingung geknüpftes Grundeinkommen für alle oder
aber die Beibehaltung unseres Wirtschafts- und Sozialsystems, das primär auf
die Entlohnung geleisteter Arbeit setzt - über diese Alternativen ist in einer
Veranstaltung der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in Bergkirchen
diskutiert und gestritten worden. Diözesansekretär Peter Ziegler vom
KAB-Kreisverband Dachau-Fürstenfeldbruck moderierte die Veranstaltung mit dem
bayerischen Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Fritz Schösser
und Götz Werner, Professor für Entrepreneurship an der Universität Karlsruhe.
Werner ist Gründer der dm-Drogeriemarktkette und hat das Konzept des
"bedingungslosen Grundeinkommens" entwickelt.
"Wir müssen in unserer Gesellschaft wieder mehr nachdenken über Lösungsansätze
für soziale Probleme", erklärte Landrat Hansjörg Christmann in seinem
Grußwort vor den rund 80 Zuhörern im Gasthof "Groß". Eben dies tut
Götz Werner: Er will durch ein Grundeinkommen, auf dessen Höhe er sich nicht
festlegt, den Menschen mehr Freiräume für die Arbeitswahl geben. Sie sollen
frei werden für die Entfaltung eigener Kreativität und für Arbeit, die ihren
Neigungen und Begabungen entspricht, vornehmlich auch im sozialen, familiären
oder künstlerischen Bereich. Überall dort nämlich, wo es um "menschliche
Zuwendung" geht, werde heute viel zu wenig und viel zu gering geschätzte
Arbeit geleistet. Die "Entkoppelung von Arbeit und Einkommen" stelle
einen vollständigen "Paradigmenwechsel" dar; sie müsse einhergehen
mit einem Umbau des Steuersystems: Nicht mehr der "Leistungsbeitrag" müsse
besteuert werden sondern die "Leistungsentnahme" durch den
Konsumenten, lautet Werners These.
Als "reine Utopie" bezeichnete der DGB-Vorsitzende Schösser diese
Vision. Werners Konzept sei zwar eine "wunderschöne Idee" aber nicht
finanzierbar. Er, Schösser, werde sich weiter für "eine vernünftige
Tarifpolitik und eine vernünftige Sozialpolitik" einsetzen. Beide
Referenten machten deutlich, wie wenig sie vom jeweils anderen Standpunkt
hielten. Ähnlich heftig reagierte auch das Publikum, Eine Zuhörerin warf Schösser
vor, "unredlich" zu sein, sich nicht ernsthaft mit Werners Konzept
beschäftigt zu haben und statt dessen sich "überall rauszureden".
Kritik gab es - neben viel Beifall - aber auch an Werner, dem vorgeworfen wurde,
zu wenig zur Umsetzbarkeit seines Konzepts zu sagen. Werner überreichte Schösser
schließlich ein von ihm verfasstes Buch mit der Widmung: "Wer will findet
Wege - wer nicht will findet Gründe".
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.124, Freitag, den 01. Juni 2007 , Seite 109